Leben im befreiten Lager

Viele befreite Häftlinge befanden sich in einem beklagenswerten Zustand. Manche waren eher tot als lebendig. Trotz aufopferungsvoller Hilfe durch amerikanische Sanitäter und zivile Helfer:innen starben in den Wochen nach der Befreiung in Buchenwald und Mittelbau-Dora noch Hunderte Menschen an den Folgen der Haft. Manche hatten die fetthaltige Nahrung, die sie von den Helfenden bekommen hatten, nicht vertragen.

In Buchenwald brachten die Amerikaner die etwa 900 befreiten Kinder und Jugendlichen aus den verdreckten Lagerbaracken in bessere Unterkünfte, viele in die ehemaligen SS-Gebäude. Internationale Hilfsorganisationen und die U.S. Army organisieren Hilfe für die jungen Überlebenden. Der amerikanische Militär-Rabbiner Herschel Schacter blieb monatelang im Lager, um sich um die Waisenkinder zu kümmern und ihnen seelsorgerischen Beistand zu leisten.

Dose mit Kondensmilch, 1945.

Bei der Erstversorgung der verhungernden Häftlinge spielte die fetthaltige Kondensmilch eine wichtige Rolle. Diese Dose wurde auf dem Dachboden des Torgebäudes im befreiten Lager Buchenwald gefunden.

(Gedenkstätte Buchenwald)

Infusionsflasche für die medizinische Erstversorgung, 1945.

Halb verhungerte Überlebende erhielten Blutplasma und Nährlösungen. Sie waren nicht in der Lage, gewöhnliche Nahrung zu sich zu nehmen.

(Gedenkstätte Buchenwald)

Das Internationale Rote Kreuz liefert Medikamente in das befreite Lager Buchenwald, 17./18. April 1945.

In den ersten Tagen nach der Befreiung gab es einen akuten Mangel an medizinischer Versorgung. Insbesondere die schwer erkrankten und verhungernden Minderjährigen wurden vom Internationalen Roten Kreuz mit Medikamenten und Essen versorgt.

(Gedenkstätte Buchenwald)

Amerikanische Kongressabgeordnete besuchen befreite Häftlinge im ehemaligen Lagerbordell, das zu einer Krankenbaracke umfunktioniert wurde, 21. April 1945.

(Gedenkstätte Buchenwald)

„Zu dem Zeitpunkt, als diese Einheit das Lager übernahm, gab es etwa 21.000 Gefangene dort. Das größte Problem, vor welches die Einheit sich gestellt sah, war das der Hygiene. Die Wasserversorgung war infolge der Sprengung einer der Hauptleitungen unterbrochen worden. Die Toiletteneinrichtung war praktisch nicht existent und Hygiene jeder Art augenscheinlich unbekannt. Die Beleuchtung war unzulänglich, die Baracken waren schmutzig, die Baracken waren überfüllt, die Insassen waren unterernährt und mangelhaft bekleidet. […] Nach der Übernahme des Lagers begann die Einheit die Gebäude, in denen früher die SS-Wachen untergebracht waren, zu entlausen und zu säubern. Als diese Gebäude gesäubert waren, wurden die schlimmsten Fälle dorthin gebracht.“

Auszug aus dem Bericht des 120. U.S. Evacuation Hospital, 10. Juni 1945.

Die amerikanischen Befreier verfassten einen Bericht über die desaströsen hygienischen Bedingungen im befreiten Lager. Sie richteten ein Notfalllazarett ein.

(Gedenkstätte Buchenwald)

Jüdischer Gottesdienst in der Kinobaracke in Buchenwald, 18. Mai 1945.

Der US-Militärgeistliche Rabbi Herschel Schacter kam am 11. April 1945 mit der 3rd U.S. Army nach Buchenwald und blieb bis Juni im dortigen DP-Camp. Er setzte sich insbesondere für die jüdischen Waisen ein. Das Foto entstand bei einem der Gottesdienste: Der Junge, der mit kurzen Hosen in der ersten Reihe sitzt, ist Robert Büchler. Vor dem Rednerpult sitzend, mit Blick in die Kamera, sieht man den sechsjährigen Stefan Jakubowicz.

(Gedenkstätte Buchenwald)

„Er kam in Buchenwald an, als erster Jude, der Rabbi Schacter. Er machte ... zu dieser Zeit war Pessach oder so etwas. Er verteilte damals Matzen, und er veranstaltete Gottesdienste.”

Jurek Kestenberg erinnert sich im Interview mit David P. Boder an einen Gottesdienst mit Rabbi Schacter, 31. Juli 1946.

(„Voices of the Holocaust“, Illinois Institute for Technology)

„Vom Boden bis zur Decke waren Hunderte von Männern und einige Jungen hingen über dürren Strohsäcken und sahen auf mich herab, sahen auf mich herunter aus verwirrten Augen [...] Ich erinnere ihre Augen, wie sie herabschauten, herabschauten aus großen großen Augen – alles, was ich sah, waren Augen – gejagt, verkrüppelt, vor Angst paralysiert. Sie waren abgemagerte Haut und Knochen, halbverrückt, mehr tot als lebendig. Und da stand ich und rief auf Jiddisch: ‘Sholem Aleychem, Yiden, yir zent frey!’ ‘Ihr seid frei.’ Die Mutigeren von ihnen kamen langsam auf mich zu [...], um meine Armeeuniform zu berühren, um die jüdischen Geistlichen-Insignien zu betrachten, und fragten mich ungläubig: ‘Ist das wahr? Ist es vorüber?“

“Ihr seid frei!” Bericht von Rabbi Herschel Schacter, 1981.

(Gedenkstätte Buchenwald)

Eine Gruppe befreiter Kinder und Jugendlicher vor einer der SS-Kasernen, nach dem 11. April 1945.

Aus den Kinderblocks 8 und 66 wurden sie in die ehemaligen SS-Unterkünfte gebracht. Bei warmem Wetter und neu eingekleidet posierten sie hier für einen unbekannten Fotografen.

(Gedenkstätte Buchenwald)

Überlebende des KZ Mittelbau-Dora in einem Sanatorium in Sülzhayn (Harz), 29. Juni 1945.

Einige Hundert Überlebende aus den Lagern des KZ Mittelbau brachten die Amerikaner zur Erholung in zwei Sanatorien im Kurort Sülzhayn bei Ellrich. Dort kümmerten sich Pfleger der UNRRA (United Nations Relief and Rehabilitation Administration) um sie.

(Foto: Edward Vetrone, NARA)

Eine britische Mitarbeiterin der UNRRA kümmert sich in einem Sanatorium in Sülzhayn um einen jugendlichen sowjetischen Überlebenden des KZ Mittelbau-Dora, 29. Juni 1945.

Trotz aufopferungsvoller Pflege starben in Sülzhayn 1945/46 noch 55 befreite ehemalige Häftlinge.

(Foto: Edward Veltrone, NARA)

Befreiungen